Einmischen, Bewegen, Verändern!

Bericht zur Veranstaltung am 05.10.13 in Chemnitz:

Die Dialogwerkstatt „Einmischen, Bewegen. Verändern - Jugendpolitik als Teilhabepolitik“ lockt 45 Jugendliche ins Weltecho Chemnitz. 

In Zeiten gesättigter Kultur und trotz Krise wachsender Wirtschaft ist es nicht einfach, Jugendliche für Politik zu interessieren. In der schwierigen Zielgruppe der 13-20jährigen herrschen Halbwissen und Desinteresse an politischen Inhalten und Prozessen vor. Sie nun gar zu politischem Engagement, zum Mitgestalten und zum Ausprobieren zu bewegen, erscheint nochmal einen Zacken komplizierter.

Da erstaunt es umso mehr, dass sich an einem Samstag Anfang Oktober morgens um zehn 60 engagierte Jugendliche im Soziokulturellen Zentrum „Weltecho“ einfinden. Sie wollen sich über „Einmischen, Bewegen, Verändern – Jugendpolitik als Teilhabepolitik“ austauschen. Dieses Motto formuliert der offizielle Aufruf des Veranstalters, der Jugendstiftung Sachsen.

Der Saal im „Weltecho“ ist also gut gefüllt. Leon Milewski aus Harthau, einem Chemnitzer Vorort, ist mit seinem Freund Arvit Rösner hier. Es ist der erste direkte Kontakt der beiden 14jährigen zu aktiven Jugendinitiativen und politischen Organisationen. Sie mussten schon vor acht aufstehen, um pünktlich hier zu sein. „Aber für wichtige Sachen komme ich auch schon mal früh um vier aus dem Bett“, erzählt Leon etwas verschmitzt. „Die meisten Leute hier sind relativ gechillt“, ergänzt Arvit Rösner. „Sie rattern ihre Sachen nicht so runter und erklären gut.“ Insgesamt liegt eine aktive und konzentrierte Atmosphäre über dem Weltecho.

Viele sind da, weil sie einer der Gruppen angehören oder zuneigen, die jetzt „Tischhalter“ in einer Art Infocafé sind. An neun Tischen sitzen dabei Vertreter vom „Stay-Rebel“-Musikfestival, vom Kreisschülerrat, von Amnesty International, den JuSos, der Linksjugend, der Schülerzeitung „FünfterDritter“, der Grünen Jugend, der Verdi-Jugend, der Initiative „Hoch vom Sofa“ der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und vom Netzwerk Demokratie und Courage. Diese Mischung ist einmalig und ungewöhnlich, auch in ihrem überzeugend niedrigen Altersdurchschnitt. Die jugendlichen Gäste kreisen in getakteten Abständen zu Tischen ihrer Wahl, viele gute Gespräche und neue Kontakte kommen zustande.

Die Teilnehmenden nutzen die für sie einmalige Gelegenheit, um Initiativen und Organisationen auf den Nutzwert für ihre eigenen Interessen und Ziele abzuklopfen. So wünscht sich etwa Leon Milewski mehr Fairness in seiner Schule. Heute hat er Leute vom NDC kennen gelernt, dem Netzwerk für Demokratie und Courage, die entsprechende Kurse anbieten. „Ich hab in der Schule schon versucht, dafür etwas rauszufinden, das hat nie geklappt. Ich wünsche mir, dass das NDC mal in unsere Schule kommt. Da werde ich hundert pro mal meine Schulleiterin fragen“, bringt er seinen Nutzen auf den Punkt.

Hendrik Hadlich, Organisator der Veranstaltung, sieht den politischen Ball im Spielfeld der Jugendlichen. „Wir wollten keine Fachkräfte oder Uni-Professoren einladen, die etwas über Teilhabepolitik erzählen, sondern schauen, welche Chemnitzer Jugendgruppen es gibt, die für Politik aktiv sind. Die Jugendlichen selbst sollen als Fachleute über ihre Arbeit reden“, umreißt er das Vorgehen. Dass sich Jugendorganisationen aus der bürgerlichen Mitte, von den kirchlichen Jugendverbänden oder vom Chemnitzer Rotary-Klub nicht zurückgemeldet haben, bedauert Hadlich. Man könne aber niemanden zum Mitmachen. „Die NPD-Jugend hätten wir aber nicht eingeladen. Wir haben uns schon in unserer Ausschreibung vorbehalten, Menschen mit menschenfeindlicher Gesinnung auszuschließen. Denen wollen wir kein Podium bieten“, so Hendrik Hadlich.

Der Tag ist methodisch wunderbar durchdacht und gestaltet. So erhält sich die produktive Atmosphäre auch nach dem Mittagsimbiss zur Podiumsdiskussion zum Thema „Teilhabe“. Ein wichtiger Baustein dafür, hier sind sich fast Alle einig, ist der Freiraum sich Auszuprobieren, eigene Wege zu gehen. Erst dann kann aus bloßer Teilnahme auch Teilhabe werden, im Sinne von Mitmachen, Mitbestimmen und Verändern.

Auch Probleme kommen auf den Tisch, etwa der altersbedingt schnelle Wechsel und die damit fehlende Kontinuität in jugendpolitischen Strukturen, aus denen zu schnell die aktiven Macherinnen und Macher entwachsen. Außerdem stört es Jugendliche, wenn „erwachsene“ Verantwortungsträger öffentlich ihr Engagement lobten, wichtige jugendpolitische Entscheidungen aber ohne sie in Hinterzimmern träfen. „Der Honig ums Maul schmeckt manchmal bitter“, sagt dazu Jonas Fischer vom Landesschülerrat Sachsen. Auch bei solchen Kontroversen bleibt das Klima freundlich und offen. Das Publikum hakt nach, lässt viele der Aussagen und Statements der gleichaltrigen Podiumskollegen nicht auf sich beruhen.

Zum Abschluss wählen die Organisatoren die methodische Form des Speeddating. Vier Fragen werden in kurzen Zweiergesprächen diskutiert, die Ergebnisse auf Zetteln niedergelegt, dann wird zum nächsten Gesprächspartner weitergerückt. Durch die Verschriftlichung nehmen auch die Organisatoren sehr viel mit, etwa die Erkenntnis, dass die sowieso engagierten Jugendlichen oft an Grenzen des Machbaren stoßen.

Es ist schwierig, neue Leute zu aktivieren, aber heute ist es gelungen. „Ich hab auch etwas gefunden, wo ich mich aktiv beteiligen würde, die Verdi-Jugend“, sagt Arvit Rösner, der 14jährige Schüler. Er ist dankbar für die offerierten Kontakte und Ideen und fährt motiviert nach Hause.

(Bericht und Foto: Enrico Damme)

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